Lernaufgaben- Initiierung reflexiver Lernprozesse
Der Begriff der Reflexion im Kontext der beruflichen und betrieblichen Weiterbildung gewinnt in den täglichen Arbeitswelten immer mehr an Bedeutung. Gesteigert durch den Innovationsdruck, welcher vornehmlich in der Liberalisierung des Dienstleistungshandels gründet, sind vielfältige Veränderungsprozesse in den arbeitsweltlichen Gegebenheiten wahrnehmbar (Pawlik & Lederer, 2007, S. 322ff.). So ist auch in der beruflichen Weiterbildung des Gesundheitsbereichs eine verstärkte praktische Auseinandersetzung mit der Thematik reflexiver Handlungsprozesse und Kompetenzanforderungen zu beobachten.
Mit seinem Werk „The reflective practitioner“ stellt Donald Alan Schön (1983) ein Praxismodell der Entwicklung und Reflexion des professionalisierten Handelns vor und geht der Frage nach, wie Wissen und Handeln zusammen spielen, damit der Praktiker im beruflichen Handlungsfeld seine Aufgaben bewältigen kann. Nach Schön ist Reflexivität ein Dialog zwischen Denken und Handeln. Nicht die statische Wissensvermittlung steht im Vordergrund, sondern der reflektierende (Berufs-) Praktiker (Schön, 1983, S. 54).
Er unterscheidet dabei zwischen zwei Reflexionsarten:
-
die Reflexion in der Handlung (reflection in action)
und die
- Reflexion über die Handlung (reflection on action).
Die Reflexion in der Handlung ermöglicht dem Praktiker bzw. Handelndem bereits ein bewusstes Reflektieren während einer Handlung und ist insofern bedeutsam, da sie unmittelbar handlungsbezogen ist. Das geschieht vor allem in einer komplexen oder überraschenden Situation innerhalb eines spezifischen Handlungskontextes und bedarf deswegen einer besonderen Aufmerksamkeit, weil sie außerhalb des bekannten Geschehens liegt, z. B. bei auftretenden Störungen oder Konflikten. Hier greift der Handelnde auf sein Repertoire von Wissen, bekannten Ereignissen oder Erfahrungen zurück und versucht in Analogie zu einem ähnlichen Problem dieses durch Reflexion innerhalb der Handlung zu interpretieren und spontan darauf zu reagieren. Diese Reflexion setzt ein Bewusstsein über Wissen in der Handlung (knowing in action) voraus und muss nicht unbedingt verbalisiert werden, sondern kann auch implizit bleiben (ebd., S. 56). Der Handelnde erforscht dabei sein eigenes Tun und macht die Handlung selbst zum Ausgangspunkt seiner Veränderungen (ebd., S. 299).
Im Gegenzug dazu, unterbricht die Reflexion über die Handlung den Handlungsfluss und löst sich aus der Situation. Der Praktiker nimmt sich aus der Handlung heraus, dokumentiert und analysiert nachträglich seine Erfahrungen. Er reflektiert seinen Erfolg oder Misserfolg. Die reflexive Betrachtungsweise erfolgt dann, wenn die Kognition der Handlung gespeichert, bildhaft oder begrifflich gefasst wird. Dazu wird das Handlungswissen explizit formuliert und neue Möglichkeiten zur Reorganisation und Optimierung der Handlung eröffnen sich (Altrichter, 2000, S. 209). Ziel dieser reflexiven Handlungsfähigkeit ist, theoretische Erkenntnisse aus der Praxis zu gewinnen und sie wieder in die Handlung zurückzuführen. Reflexion über die Handlung bezeichnet das, was alltagssprachlich mit Reflexion gemeint ist. Die aus diesen Erkenntnissen entstehenden Konsequenzen für eine Verbesserung der Lern-förderlichkeit resultieren durch das Nachdenken über das eigene Handeln, also eine Art Rückwendung eines Prozesses auf sich selbst (Müller 2003, S. 150). Das Auslösen bewusster und kontinuierlicher Reflexionsprozesse über die eigene Lernbiographie führt durch die Abfolge konkreter Handlungen, Erfahrungen und Reflexion unter Berücksichtigung der vorher gemachten Erfahrungs- und Erkenntnisprozesse, zu einem Aufbau und Verbesserung des Erfahrungswissens (Dehnbostel, 2005, S. 117).
Grund für erfolgreiche Lernprozesse ist die Anwendung von Wissen in Praxis-situationen und nicht das rein kognitiv erarbeitete, explizite Wissen, das dadurch nicht allein handlungsleitend wird. Deshalb ist entscheidend, dass das explizite Wissen immer wieder mit dem impliziten (subjektiven) konfrontiert wird, damit es an alte Bedeutungsnetze angekoppelt werden kann und fest im Gedächtnis verankert wird. Als Konsequenz gilt, dass diese handlungs-leitenden Theorien (subjektiven Theorien) bewusst gemacht werden müssen, bevor die Lernenden mit neuen Wissen konfrontiert werden. Wenn diese neu erlernten Theorien mit den subjektiven verknüpft, situationsbezogen verarbeitet und gesichert werden, kommen die Handlungsweisen zu tragen, die in Situationen vorher erfahren und sich bewährt haben (Schwarz- Govaers, 2005, S. 44).
Literatur:
Altrichter, Herbert (2000): Handlung und Reflexion bei Donald Schön. In: Neuweg, Georg-Heinz (Hrsg.): Wissen-Können-Reflexion. Ausgewählte Verhältnisbestimmungen. Innsbruck: Studienverlag, S. 201-221.
Dehnbostel, Peter (2005): Lernen-Arbeiten-Kompetenzentwicklung: Zur wachsenden Bedeutung des Lernens und der reflexiven Handlungsfähigkeit im Prozess der Arbeit. In: Wiesner , Gisela; Wolter, Andrä (Hrsg.): Die lernende Gesellschaft. Weinheim und München: Juventa, S. 111-126.
Müller, Klaus (2003): Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz in der praktischen Ausbildung durch den Einsatz von Lernaufgaben. In: PrInterNet-Zeitschrift für Pflege- und Gesundheitswissenschaft (7)3, S. 149-151.
Pawlik, Anka; Lederer, Bernd (2007): Der Einsatz von Lern- und Arbeitsaufgaben zur Förderung selbstgesteuerten Lernens. In: Dehnbostel, Peter; Lindemann, Hans-Jürgen; Ludwig, Christoph (Hrsg.): Lernen im Prozesss der Arbeit. Münster: Waxmann, S. 321-334.
Schön, Donald Alan (1093): The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action. New York: Basic Books, Inc.
Schwarz-Govaers (2005): Subjektive Theorien als Basis für Wissen und Handeln. Pflegedidaktische Folgerungen für einen lern- und problem-orientierten Unterricht. In: PrInterNet-Zeitschrift für Pflege- und Gesundheitswissenschaft (7)1, S. 38-49.
Mittwoch, 22. Juni 2011 18:34
Hallo Doris,
ein interessanter Artikel und ich finde es spannend, wie auf vielen Wegen langsam Praxis und Theorie zusammenfinden, statt von einem Entweder/Oder auszugehen.
Gerade in der beruflichen Bildung habe ich oft den Eindruck, dass Theorie eher „verpönt“ ist und/oder Wissenschaft als Gegenteil von Praxis verstanden wird.
Deshalb gefallen wir solche Ansätze sehr gut – und Reflektieren ist, egal ob im Beruf oder beim Lernen oder im Alltag, mit der wichtigste Entwicklungsschritt, mit dem man Piagets vierte Stufe „erklimmt“ – womit ich dann bei meinem Thema bin :-)
Auch die Literaturtips und Quellangaben zum Titel finde ich interessant!
Donnerstag, 23. Juni 2011 9:23
Reflexion oder Reflektion ?
Laut Duden Reflexion !
Donnerstag, 23. Juni 2011 11:08
Lieber Jan,
Danke für den Hinweis. :-). Vor lauter „Schnellschreiben“ übersehe ich immer mal das ein oder andere. Ist schon ausgebessert.
Liebe Grüße
Doris
Freitag, 24. Juni 2011 4:35
Ein interessanter Artikel – vieles kommt mir aus der Grundschulpädagogik bekannt vor ;-)
LG,
Petra
Mittwoch, 29. Juni 2011 17:21
Hallo Sabine,
da gebe ich dir auch Recht. Der praktische Anteil in der beruflichen Bildung als auch in der Weiterbildung wird wesentlich höher eingestuft. Diese reflektierenden Aufgaben sind schon eine enormer Anspruch an alle Beteiligten.
Sonntag, 3. Juli 2011 21:37
Im Auftrag Test-Lesen ist folgendes zu bemerken:
Inhaltlich finde ich den Text gut nachvollziehbar. Bei uns wird die Reflexion in der Praxis mit der Leittextmethode durchgeführt, was eine immense Auseinandersetzung fachlich, so wie auf der Kompetenzebene mit sich bringt. Ich glaube da haben nicht nur Auszubildende zu knabbern, sondern auch Personen in der beruflichen Weiterbildung, vor allem wenn sie sich mit ihren persönlichen Kompetenzen wieder auseinandersetzen müssen, was leider oft im Berufsleben verkümmert.
Im Teaser ist bei beruf-lich ein Trennungsstrich! Im Gesamtartikel in Zeile 5 bei viel-fältig und Zeile 9 Handlungs-prozesse auch.
Im 2. Absatz Reflektion der … „bildlich gefasst“ müsste es eher erfasst heißen. Lern-förderlichkeit weiter unten
Fr. Schwarz- Govaers hat einen Grammatikfehler, es sollte heißen …mit neuem Wissen, nicht neuen Wissen, moan i!
Das wirfste aber wieder raus aus den Kommentaren, bin der Probe-Testleser, kennst mich ja, Hausarbeiten-lese-erfahren und sehr akribisch. Drücker liebe Do-Do!
Montag, 4. Juli 2011 8:26
Liebe Bärbl,
Nee, lass dich jetzt drin:-). Ich danke Dir für dein konstruktives Feedback. Danke fürs Testlesen
THX für deine Akribie. Die Leitttextmethode kenne ich so gar nicht, das muss ich mich mal schlau machen. Immer was Neues !!!
Nicht nur die Auszubildenden und Teilnehmer aus der Weiterbildung kämpfen mit der Auseinandersetzung, sowohl im fachlichen als auch persönlichen Bereich. Auch ich merke immer wieder, dass ich auch an meine Grenzen stosse und mich immer wieder aufs Neue befragen und hinterfragen muss.
Halt mich auf dem Laufenden. Ich dich auch.
Drück dich auch.
Doris
Mittwoch, 6. Juli 2011 22:01
Hallo Doris,
finde den Artikel zum Thema Lernaufgaben und Reflexion sehr interessant – klasse! Die Literatur-Angaben machen mich persönlich sehr neugierig auf dieses Thema.
Vielen Dank!
Liebe Grüße
Bernhard